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DIT: KI braucht Vertrauen und Interoperabilität ist Ehrensache
Der 10. Deutsche Interoperabilitätstag (DIT X) lockte an drei Tagen Entwickler und Anwender nach Berlin. Die Jahrestagungen der deutschen Standardisierungsorganisationen von HL7 und IHE waren Teil des Events.
Von Mirjam Bauer/Michael Reiter
Starke Aussagen: das Panel „Gemeinsam digital – wie gut funktioniert die Zusammenarbeit in der Digitalisierung wirklich?“ beim DIT. – © Mirjam Bauer
Workshops, Vorträge und Diskussionsrunden formten das Programm des DIT mit seinen technischen, regulatorischen und organisatorischen Schwerpunkten. So waren sich
- Steffi Neumann, KIG gematik,
- Dr. Viola Henke, DMI,
- Heike Nowotnik, AOK-Bundesverband,
- Gudrun Liß, Asklepios, und
- Sascha Raddatz, bvitg,
einig: Wir benötigen mehr Co-Creation von Anfang an, sowie synchrones Arbeiten und bessere Abstimmung. Liß betonte in dem mit diesen vier starken Frauen plus Moderator besetzten Panel „Gemeinsam digital – wie gut funktioniert die Zusammenarbeit in der Digitalisierung wirklich?“, für die Patienten-Journey hätte sie sich mehr Verknüpfungen etwa zwischen KHZG und ePA gewünscht. Diese Vorhaben hätten gesetzlich gemeinsam gedacht werden können – statt separat.
Kassen und Digitalisierung
Nowotnik freute sich in diesem Panel auf dem DIT, dass die Kassen heute viel mehr gemeinsam agieren und sich austauschen, also Kapazitäten bündeln. Früher gab es hier stärkere Konkurrenz. Interoperabilität im Versorgungsalltag sollte selbstverständlich werden. Sie plädierte ferner für ein übergreifendes Identitätsmanagement mit einer einheitlichen ID für Steuer, Banken, Krankenkassen etc.
Neumann empfiehlt, die Regelungen des EHDS auf deutsche Verhältnisse herunterzubrechen, nicht anders herum. Es sollten national gleiche Voraussetzungen wie der Rahmenstandard FHIR genutzt werden, wie es aktuell bei den Laborprozessen passiere. Mehr Tests, Infrastrukturen und Testregionen könnten hier helfen, die bisherigen Modellregionen hätten deutlich geholfen, so Liß weiter. Eine deutliche Verbesserung zu früheren Jahren: Die Roadmaps der gematik seien transparent und würden mit allen wichtigen Akteurinnen und Akteuren gemeinsam weiterentwickelt. Der Usability und der Terminplanung verdienten hohe Aufmerksamkeit.
Das Ende von Standards dank KI?
- FHIR liefere strukturierte, semantisch eindeutige Daten, also eine Basis für robuste KI.
- Das Profiling in FHIR schaffe Nachvollziehbarkeit für den AI Act der EU – für Erklärbarkeit und Audits.
- Einheitliche FHIR-Schemata ermöglichen ein standortübergreifendes datenschutzkonformes Lernen ohne Datenpools.
- Workflow-Integration: KI-Outputs – etwa Observationen, Reports oder CDS-Hooks – fließen nahtlos in klinische Systeme zurück und
- Skalierbarkeit und Zukunftssicherheit: Standardisierte APIs und Profile verhindern Silos und erleichtern Wiederverwendung und Governance.
Simone Heckmann, Gefyra, plädierte im größeren Kontext gegen die Idee, KI-Lösungen auf Basis von KI-Ergebnissen zu entwickeln – das Risiko, dass hier Unsinn entstehe, sei enorm.
Interop-Plattformen im Fokus
Im DIT-Panel „Interoperabilität aus der Praxis“ berichtete Lars von Ohlen, Universitätsmedizin Greifswald, über das virtuelle Krankenhaus Saarland, in das künftig alle medizinischen Leistungserbringer angebunden werden sollen. Auch
- Andreas Henkel, i-engineers,
- Dr. Samrend Saboor, Siemens Healthineers,
- Thomas Dehne, Unimedizin Rostock, und
- Benedict Gross, Klinik IT eG,
waren sich einig, dass Interoperabilitätsplattformen neue Prozesse benötigen, um wirklich Fortschritt zu ermöglichen. Dabei solle man nicht immer nur auf die Gesetze blicken, so Dehne, sondern verstehen, was ein Krankenhaus wirklich braucht und was den Patientinnen und Patienten hilft.
„Erst mal eine solide Basis schaffen für Daten und sichere Autobahnen bauen – und danach über KI reden, die Kliniken stehen hier noch ganz am Anfang.“
Benedict Gross, Klinik IT eG
Saboor wünschte sich, dass trotzdem von Anfang an mehr mitgedacht werden solle, wie KI unterstützen könne.
Erfahrungen aus ÖGD und Klinik
Dr. Nicola Richardt, ekom21, erklärte, dass der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD), zu dem auch die Gesundheitsämter gehören, FHIR nutzt und dies weiter ausbauen werde. Der ÖGD möchte digital, vernetzt und krisenorientiert agieren. Mit der Wortwahl „ISI ÖGD“ orientieren sich diese Stakeholder sowohl an easy als auch an ISIK und stellen interoperable Schnittstellen, zunächst für Krebsregister, bereit.
Annett Müller von DMI und André Sander von ID unterstrichen, Interoperabilität sei harte Detailarbeit und alles andere als ein Selbstläufer. Wie auch Dr. Jürgen Bosk von DMI beschrieben sie Wege zur semantischen Interoperabilität unter anderem mit dem Ziel, wertvolle Informationen aus Behandlungsdaten zu extrahieren. Wichtiger Aspekt hierbei: die automatisierte Generierung strukturierter Daten aus dem nach wie vor gängigen Freitext.
Dr. Ingo Matzerath, Ameos, erläuterte auf dem DIT, was für einen Klinikkonzern die Interoperabilität intern bzw. extern bedeutet. Bei Ameos liegt der Fokus derzeit noch stark auf den internen Anwendungen, weil hier nach wie vor viele Hausaufgaben gemacht und Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen. Er berichtete über seine praktischen Erfahrungen seit dem Jahr 2018/19. Ein wichtiges neues Projekt, das aufgrund der KHZG-Herausforderungen auf die Klinik-Agenda gelangte, war die Altdatenmigration. Dazu mussten die Daten aus diversen Legacy-Systemen – wobei die KIS-Lösungen im Fokus standen, interoperabel in die IOP überführt werden. Das Ziel: Die Krankenhäuser möchten die alten Systeme abschalten können und nie wieder benötigen … und ferner im Rahmen des anorganischen Wachstums eine rasche IT-Harmonisierung ermöglichen.
Vertrauenswürdige Daten für verlässliche KI
Die Datenbasis für das Trainieren von KI muss korrekt sein, damit die Software richtige Entscheidungen treffen kann – dies betonte Heckmann im Vortrag für HL 7. Behandlungsdaten hätten bisher einen deutlichen Bias durch die stark abrechnungsorientierte Dokumentation und den weitgehenden Mangel an strukturierten Daten.
IHE in der Praxis: Prof. Dr. Martin Staemmler, Hochschule Stralsund, grenzte zunächst die Begriffe IOP und Gesundheitsdatenplattform voneinander ab. Je mehr Funktionalität eine IOP liefere, desto mehr stehe sie in Konkurrenz zu vorhandenen KIS/KAS. Anwendungsbeispiele für IOP seien
- die integrierte Gesamtsicht auf Patientendaten,
- Archivierung,
- Bereitstellung von strukturierten Daten,
- Design von Fragebogen und Formularen,
- Prozessdefinitionen oder auch
- KIS-Ausfälle.
Die IOP sei in der Klinik angesiedelt; die Gesundheitsdatenplattform (DGP) sei nicht eindeutig zuzuordnen und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte würden sie eher nicht nutzen (wollen). Die Plattform dient
- dem Datenaustausch,
- einrichtungsübergreifenden Prozessen oder Telekonsilen,
- Tumorboards oder
- Videokonsultationen.
Wichtig sei hier ein Paradigmenwechsel; die bessere Lösung besteht laut Staemmler darin, dass Kliniken anderen den Zugriff auf ihre Daten ermöglichen, anstatt Daten zu duplizieren und riesige Volumen zu produzieren.
Sein Fazit: IOP und DGP sollten nicht nur eine Infrastrukturmaßnahme sein, sondern die Architekturen müssen die Fähigkeiten der Bestandssysteme berücksichtigen und standardkonform umgesetzt werden. Aufbau und Betrieb seien eine strategische Entscheidung einer Klinik/Gruppe, mit einer Roadmap und KPIs zur Bewertung der Umsetzung. Dies beinhalte ein hohes Potenzial für einrichtungs- und sektorübergreifende Kooperation und Reaktionsfähigkeit auf sich ändernde Rahmenbedingungen.
Genauso umdenken solle man bei anderen Prozessen, indem man das Medizinische mehr in den Vordergrund stelle und nicht die Abrechnung – dies betonte Marcus Kuper, Unimed Rostock. Er empfahl in Bezug auf die Komplexität des neuen „Tech Stacks“, alte Denkweisen aufzugeben, Verständnis für Data Governance aufzubauen und auch den Herstellern realistische Zeit zur Umsetzung zu geben. Interoperabilität bedürfe der menschlichen Qualitätssicherung; der Aufwand für Terminologien/Ontologien wie LOINC und SNOMED-Zuordnungen müsse bedacht werden: semantische Interoperabilität sei nicht kostenfrei.
European Health Data Space (EHDS)
Charly Bunar, gematik, erläuterte die Verordnung über den EU-Gesundheitsdatenraum: Die eHealth Digital Service Infrastructure (eHDSI) die der grenzüberschreitenden Versorgung im Sinne der Patientenmobilitätsrichtlinie. Der National Contact Point for eHealth (NCPeH) ist als Verbindungsstück zur eHDSI verpflichtend aufzubauen und wird von der DVKA betrieben. Die eHDSI ist künftig die Grundlage für den EHDS mit den Zielen der Primärnutzung und Sekundärnutzung der Gesundheitsdaten in Land-A- und Land-B-Szenarien. Dabei unterscheidet die EHDS VO unter
- Primärdatennutzung = MyHealth@EU und
- Sekundärnutzung = HealthData@EU. MyHealth@EU
definiert Spezifikationen, die direkt für den Austausch zu nutzen sind. Da die Datentransformation zwischen einem MyHealth@EU-Profil und einem nationalen Profil mühsam sei, brauche es eine gemeinsame Basis, so Bunar weiter. Daher definiere gemeinsame EU-Aktion „Erweiterte elektronische Gesundheitsakte“ (Xt-EHR) IOP-Mindestanforderungen an Mitgliedsstaaten für die Primärdatennutzung.
Dennis Kipping, mio42, stellte den aktuellen MIO-Laborbefund und die nationale Harmonisierung mit Fokus Mikrobiologie vor. Dafür gibt es gemeinsame Workshops mit dem RKI, der MII und mit mio42, organisiert von der TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V., damit am Ende sowohl meldepflichtige Erregernachweise erbracht werden können, die Daten in der ePA für die Versorgung genutzt werden als auch der Fokus auf die Forschung gesichert ist. Dr. Kai U. Heitmann von HL7 erwähnte, das Pendant zum deutschen SITIG sei ESHIA (European Standards for Health Interoperability Alliance) auf europäischer Ebene, die Initiative euridice.org stehe hier für die weitere Arbeitsplanung.
„KI braucht Vertrauen, Interoperabilität ist heute Ehrensache.“
Michael Franz, DMI
Mit dieser Aussage in der Keynote von Michael Franz, DMI, lassen sich Kernbotschaften des DIT X zusammenfassen.